Lügen über meine Mutter – von Daniela Dröscher

Lügen über meine Mutter – von Daniela Dröscher

Oktober 3, 2023 0 Von LisasBuecherleben

Dieses Buch war das Highlight meines Besuches bei der Frankfurter Buchmesse letztes Jahr. Beim Verlag Kiepenheuer & Witsch war es groß angekündigt und ich habe neugierig direkt am Messestand reingelesen und es anschließend mit nach Hause genommen. Schon das kurze Reinlesen hatte mich total emotional gemacht …


Im Roman wird die Geschichte von Ela (der Autorin selbst) und ihrer Familie erzählt. Im Zentrum des Ganzen steht dabei durchweg der Körper ihrer Mutter. Denn die ist zu dick, das findet zumindest Elas Vater. Und macht seine Ehefrau und ihre Figur für jedes Scheitern und jede versäumte Gelegenheit verantwortlich. Er will sie „vorzeigbar“. Und sie, eine durchaus eigensinnige Frau mit ganz eigenen Macken, bekommt das täglich zu hören.

Dieses Buch hat mich wirklich, wirklich mitgenommen. Denn nicht nur bin ich selber dick (und höre das von extern häufiger, als notwendig wäre), sondern auch die Beziehung zu meiner Mutter ist eine ganz besondere. Ich habe von ihr gelernt, wie ich als heranwachsende Frau meinen Körper zu betrachten habe, und wie sie ihn selber betrachtet. Und ohne jetzt einen ellenlangen Seelenstriptease hinzulegen: Dabei habe ich auch gelernt, dass er nie ausreichend schön sein kann. Dass man nie zufrieden sein kann, sondern doch noch mal das andere Kleid anprobiert, auf das Stück Kuchen verzichtet, sich hier und da einschränkt, um … Ja, wofür eigentlich? Um zu gefallen. Um wenig Raum einzunehmen. Um nicht unbequem zu sein, nicht aufzufallen und um Himmels willen nicht anzuecken. Das ist eine „Weisheit“, die Frauen sich seit Jahrhunderten weiterzugeben scheinen. Du bist nicht genug, weil du nicht perfekt bist. Weil du nicht perfekt sein kannst. Niemals perfekt sein wirst. Aber hör bloß nicht damit auf, nach Perfektion zu streben, denn das sollte dein höchstes Ziel sein.

Und genau diese Einstellung wird Elas Mutter – und damit eben auch Ela – Tag für Tag um die Ohren gehauen. Und wenn sie es nicht schafft abzunehmen, dann ist sie ein einziges Scheitern. Und dieses vermeintliche Scheitern thematisiert die ganze Familie (und schmerzhafterweise auch Ela irgendwann) dermaßen beiläufig, dass es wehtut. Immer wieder tut es nach den Sätzen ein bisschen weh, und das hatte beim Lesen einen unheimlich starken Effekt auf mich. Denn ganz viele Motive der einzelnen Figuren (der Wunsch nach sozialem Aufstieg, Sicherheit, Anerkennung, sozialen Kontakten) wird nur über den Körper der Mutter thematisiert. Und man versteht erst sehr langsam, was die handelnden Personen eigentlich wollen. Denn das eigentliche Problem ist (Oh Wunder) nicht der Körper von Elas Mutter. Aber auf den kann man die so herrlich abschieben.

Mein Fazit: „Lügen über meine Mutter“ ist ein super stark geschriebenes Buch, das einen Einblick in eine Familiengeschichte der 80er-Jahre gibt, wie ich sie bisher noch nicht gelesen habe. Und während es darin auch um soziale Klasse und Verantwortung geht, dreht sich doch schließlich alles um den Körper der Frau. Und wie normal es eigentlich ist, genau den tagtäglich abzuwerten.


Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter. Erschienen am 18. August 2022 im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Kostenpunkt: 24,00 € als Hardcover.
Hier geht’s direkt zum Buch.

Klappentext:
Daniela Dröscher erzählt vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag.
»Lügen über meine Mutter« ist zweierlei zugleich: die Erzählung einer Kindheit im Hunsrück der 1980er, die immer stärker beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Und es ist eine Befragung des Geschehens aus der heutigen Perspektive: Was ist damals wirklich passiert? Was wurde verheimlicht, worüber wurde gelogen? Und was sagt uns das alles über den größeren Zusammenhang: die Gesellschaft, die ständig auf uns einwirkt, ob wir wollen oder nicht?